Das Wurlitzer E-Piano — eine Legende lebt weiter

Im folgenden wird ein Überblick über das Wurlitzer E-Piano gegeben. Zunächst wird die Geschichte erläutert, dann ein kleiner Ausschnitt seiner Verwendung in Pop/Rock/Jazz gezeigt als auch sein Klang bzw. seine Klangerzeugung erklärt.  Es handelt sich beim Wurlitzer E-Piano um ein elektromechanisches Instrument, es wird also ein physikalisch erzeugter Ton elektrisch abgenommen (ähnlich wie bei einer E Gitarre).

Normalerweise besitzt das “Wurli” 64 Tasten(Ausnahme: 106P, dieses besitzt 64 Tasten), die obere und untere Okatve des Klaviers ist also nicht vorhanden (88 – 2*12 = 64). Besonders bei den meisten Wurlitzer Modellen ist das Sustainpedal, welches über ein fahrradbremszugähnliches System funktioniert — im Gegensatz zum starren Sustainpedal eines Klaviers lässt sich dieses so wie bei einem Digitalpiano, in den Schranken der Kabellänge, frei bewegen.

Das erste Wurlitzer E-Piano Modell war das 1954 eingeführte EP-110, welche die sogenannte 100er Serie einführte. 1955 folgten das EP-111 als auch das EP-112. Alle Modelle bis zum Jahr 1962 benutzten Röhrenverstärker, das Wurlitzer 140B war das erste Piano mit einem Transistorverstärker. 1968 wurde das Wurlitzer 200 eingeführt, bei welchem die Lautsprecher mit der Hauptplatte des Instrumentes verbunden sind. Das Wurlitzer 200 Piano war und ist sehr brummanfällig, da die Wechselstromversorgung direkt am Verstärkerboard vorbeiläuft und hier eine 50Hz Spannung induziert. Ein wenig Abhilfe schafft hier das “verzwierbeln” der AC Kabel. Das Wurlitzer 200A, verkauft ab 1974, lernte aus den Fehlern seines Vorgängers sodass dieses schon weit weniger brummanfällig ist. Außerdem sind die Boxen des Wurlitzer 200A am Plastikcase des Instruments befestigt, sodass diese einfach ausgewechselt werden können (die Boxen der allerersten 200A’s sind jedoch ebenfalls an der Boardplatte befestigt — um zu erkennen ob es sich um ein 200 oder 200A handelt ist eine Betrachtung des Amps also am sinnvollsten). Das Wurlitzer 200B ähnelt dem 200A, über ein Batteriebetrieb kann es jedoch „überall” gespielt werden. Fürs Klassenzimmer als Unterrichtsklavier konzipiert ist das Wurlitzer 214 und 215, für das Wohnzimmer soll das 203, 203W und 210 geeignet sein. All jene Modelle sind sogenannte Konsolenmodelle, es existieren hier also keine abschraubbaren Metallfüße, außerdem lässt sich das Sustainpedal hier nicht verschieben. Das Wurlitzer 300, ebenfalls eine Konsolenmodell, wurde lediglich für den europäischen Markt produziert.

Geschichte der Firma Wurlitzer

Möchte man die Geschichte der Wurlitzer E-Pianos erzählen, muss man die Geschichte der Firma Wurlitzer wiedergeben — diese geht auf den Bänker und Musikinstrumentenverkäufer Franz Rudolph Wurlitzer (geb. 1831 in Schöneck, Deutschland; gest. 1914 in Cincinnati, USA) zurück. 1853 siedelte dieser in die USA über, wo er anfangs ein bedeutender Unternehmer für militärische Instrumente1 wurde — diese Tatsache ließ ihn 1859 seinen Bankjob aufgeben.  Zunächst gründete er 1872 die Firma Rudolph Wurlitzer & Bro mit seinem Bruder, ein wenig später wurde diese in in die Rudolph Wurlitzer Company umbenannt. 1899 wurde das Wurlitzer Tonophone auf den Markt gebracht, ein elektrisches Piano welches mittels eines einer Zylinderrolle betrieben wurde. Durch einen Münzeinwurf konnte es zum Spielen gebracht werden, das erste Modell beinhaltete zehn Stücke. Es war ein großer Erfolg und brachte der Firma weiteres Kapital ein um die Entwicklung von elektronischen Pianos und Musikautomaten weiterzuführen.

1910 wurde noch die Hope-Jones Organ Company von Rudolph Wurlitzer übernommen, hierdurch kam es zur Produktion des Wurlitzer Hope-Jones Unit Orchestra(Mighty Wurlitzer), einer Kinoorgel. 1914 verstarb R. Wurlitzer, das Geschäft führten seine Söhne (Howard Eugene, Rudolph Henry und Farny Reginald Wurlitzer)  fort. Unter diesen wurden Orchestrions, Kino- und Theaterorgeln, Musikboxen, elektronische Orgeln, Pedalharfen als auch münzbetriebene Selbstspielklaviere produziert.

Die für unsere Seite von großem Interesse erstellten elektromechanischen Klaviere wurden im Zeitraum zwischen 1954 und 1984 produziert. Der Rundfunkingenieur und Erfinder Benjamin Franklin Miessner(1890-1976) erstelle bereits 1930 ein elektronisch verstärktes Upright Piano, die Wurlitzer Firma übernahm von diesem die elektrostatische Tonabnahme, ersetzte übliche Klavierseiten allerdings durch sogenannte reeds. Dies sind kleine Metallstäbe ähnlich einer Stimmgabel — durch Anschlag dieser wird Körperschall erzeugt, welcher dann durch die elektrostatischen Tonabnehmer abgenommen wird.


1) Erwähnenswert ist an dieser Stelle ist übrigens, dass der geistige Vater des Fender Rhodes,  Harald B. Rhodes, ebenfalls Instrumente fürs Militär entwickelte — wenn man so möchte die unschöne Vergangenheit unserer geliebten Instrumente.

Klang und Verwendung vom E-Piano

Zwar wird der Klang des Wurlitzer mit dem des Fender Rhodes verglichen, allerdings tendiert das Rhodes zu einem glockenspiel- oder celestaähnlichem Klang während der “Wurli” ein wenig mehr nach dem Sound einer E-Gitarre klingt. Vielleicht lässt sich so erklären, dass das Rhodes vor allem einen signature sound des Jazz bildet, der Wurlitzer aber vor allem in popnahen Musikrichtungen wie Rock und Fusion beheimatet ist. Man kann den Wurlitzer als die E-Gitarre unter den E-Pianos bezeichnen — so lassen sich auch diverse Effektpedale gut mit dem Sound des Pianos kombinieren. Ob WahWah, Distortion(Verzerrung) oder Kompressor — nahezu das Komplette Effektrack eines Gitarristen lässt sich verwenden. In High-End Studios wird der Wurlitzer so auch mit Gitarrenamps abgenommen, vor allem der Fender Twin Reverb findet hierbei Verwendung. Natürlich fand und findet der Wurlitzer auch im Jazz seine Verbreitung, als herrausragend lässt hierbei das Stück Mercy, Mercy, Mercy von Cannonball Adderley bezeichnen. Joe Zawinul prägte die warmen Wurlitzerklänge zum ausdrucksstarken Saxofonspiel von Adderley.

Kennzeichnend zur Aussage, dass im Jazz das Rhodes größeren Anklang als das Wurlitzer fand ist die Tatsache, dass Joe Zawinul den Song bei späteren Live-Auftritten mit einem Fender Rhodes spielte.

 Verwendung des Keyboards in der heutigen Zeit

Da der Wurlitzer im Gegensatz zu Synthesizern eine physikalisch/mechanische Tonerzeugung besitzt, erfreut sich sein Klang immer noch großer Beliebtheit. Man könnte sagen, ebenso wie ein Klavier oder ein Kontrabass, hat der Wurlitzer neben seinem großem Bruder, dem Fender Rhodes, einen festen Platz in der Pop-, Soul und Rockmusik gefunden. Es gibt jedoch ein kleines bzw. großes Problem — Wurlitzer Pianos werden nur noch gebraucht gehandelt und sind relativ teuer und zudem oft reperaturbedürftig. Möchte ein Keyboarder zusätzlich alle anderen Klassiker transportieren, so würde ein kleiner Lastwagen von Nöten sein. Für den Soundpuristen wahrscheinlich die beste Lösung. Der Pragmatiker wird sich allerdings ein Digitalpiano kaufen, welches höchstwahrscheinlich ein samplebasiertes Wurlitzer beinhaltet. Samplebasiert heißt, dass die einzelnen Töne eines Original Wurlitzer aufgenommen werden und bei Tastendruck des Keyboards dann dieser spezielle Ton abgespielt wird. Alternativ hierzu gibt es heutzutage sogenannte physical modelling Lösungen, bei welchen der Sound eines echten akustischen Instruments mittels digitaler Berechnung nachgestellt werden soll. Nichtnur in Keyboards finden diese Technologien Verwendung, jede moderne Digitale-Audio-Workstation verfügt über Sampler und Synthesizer. Da die Factorysounds der meisten DAWs meist nicht zufriedenstellend sind, empfehlen sich Plug-Ins wie das NI Elektrik Piano.